20.10.2023

Erdorientierungsparameter: Vom Prozessverständnis zur Vorhersage

Bild: R. Dill, GFZ

Informationen über die Bewegungen des Wassers innerhalb des Erdsystems, wie sie die GRACE/GRACE-FO-Messungen liefern, helfen, Störungen der Erdrotation zu verstehen, die durch die globale Massenverteilung und den Massentransport in der Atmosphäre, den Ozeanen und der terrestrischen Hydrosphäre verursacht werden.

Dr. Justyna  Śliwińska, Space Research Centre (Warschau, Polen)

Warum ist das Wissen über die zeitlich veränderliche Erdorientierung so wichtig?

Die Beobachtung von Schwankungen der Erdrotation ist in verschiedenen Bereichen der Wissenschaft, der Technik und des täglichen Lebens unerlässlich. Die Parameter, die die Ausrichtung unseres Planeten im Weltraum und seine Rotation bestimmen (Earth Orientation Parameters, EOP), werden für die präzise Positionierung und Navigation auf der Erdoberfläche mit Satellitentechnik und für die Ausrichtung astronomischer Instrumente verwendet. Außerdem werden sie für die Planung des Starts von Weltraummissionen und für die Kommunikation mit weit von der Erde entfernten Sonden, wie den Voyager-Raumsonden, benötigt. Im Wesentlichen verbinden zeitlich veränderliche EOP einen terrestrischen Bezugsrahmen, der für die Ortung von Objekten auf dem rotierenden Planeten Erde verwendet wird, mit einem himmelsfesten Bezugsrahmen, der durch die Positionen entfernter Radiosterne realisiert wird.

Ursachen für Orientierungsänderungen der Erde

Die Erdrotation ist aufgrund der Anziehungskraft von Himmelskörpern, der inneren Erdstruktur und dynamischer Prozesse, die sowohl an der Oberfläche als auch im Inneren der festen Erde stattfinden, nicht gleichmäßig. Dazu gehören postglaziale Ausgleichsprozesse im Erdmantel aufgrund des Eisverlustes in Nordamerika und Fennoskandien nach der letzten Eiszeit, atmosphärische und ozeanische Zirkulationen sowie Änderungen der Massenverteilung in der kontinentalen Hydrosphäre einschließlich Eisschilden, Eiskappen und Gletschern. Sobald sich die Massenverteilung auf der Erde ändert - sei es durch die rasche Zunahme des terrestrischen Wassers aufgrund starker Niederschläge oder durch tektonische Plattenbewegungen - hat dies Auswirkungen auf die Erdrotation. Durch die Verfolgung von Veränderungen der Schwerkraft im Laufe der Zeit, wie sie mit den GRACE-Missionen durchgeführt wurden, haben die Wissenschaftler:innen unser Verständnis dafür, wie sich diese Massenverschiebungen genau auf die Ausrichtung der Erde auswirken, erheblich verbessert. Die regelmäßige Überwachung der Erdausrichtung und die Bestimmung der EOP mit Hilfe weltraumgeodätischer Techniken wie Globalen Navigationssatellitensystemen (GNSS), Laser-basierten Entfernungsmessungen von der Erde zu Satelliten (SLR) und Radiointerferometrie auf langen Basislinien (VLBI) ist eine wichtige Aufgabe der modernen Geodäsie, die vom Internationalen Dienst für Erdrotation und Referenzsysteme (IERS) koordiniert wird.

Nutzung von GRACE/GRACE-FO-Daten zur Interpretation von Störungen der Erdrotation

Jede Umverteilung von Oberflächenmasse wirkt sich auf den Trägheitstensor der Erde aus und führt zu einer Neigung der Rotationsachse in Richtung des Massendefizits. Atmosphärische und ozeanische Zirkulationen beeinflussen ebenfalls die Rotationsgeschwindigkeit. Die Überwachung des Massentransports innerhalb und zwischen den geophysikalischen Flüssigkeitsschichten der Erde ist daher entscheidend für das Verständnis der Mechanismen, die die Erdrotation stören. 

Während das primäre Ziel der GRACE- und GRACE-FO-Missionen die Überwachung des Schwerefeldes der Erde ist, haben sich die von ihnen gelieferten Daten als unschätzbar wertvoll für die Untersuchung der Frage erwiesen, wie Veränderungen in der Massenverteilung der Erde ihre Rotation beeinflussen. Es bestehen lineare Beziehungen zwischen den Grad-2/Ordnung-1-Koeffizienten des zeitvariablen Geopotentials (ΔC21, ΔS21) und den äquatorialen Komponenten (χ1, χ2) der EOP-Massenanregungsfunktionen, die die Position des Rotationspols der Erde charakterisieren. Eine ähnliche Beziehung besteht zwischen ΔC20 und der axialen Komponente (χ3) der Anregungsfunktion, die den Spin der Erde um den Pol beschreibt.

Die mit GRACE/GRACE-FO durchgeführten Untersuchungen der zeitlichen Schwankungen der terrestrischen Wasserspeicherung (TWS) haben gezeigt, dass der Massentransport innerhalb der terrestrischen Hydrosphäre aufgrund der saisonalen Niederschlagsmuster in vielen Regionen der Erde einen besonderen Einfluss auf die jährlichen Schwingungen der Polbewegung hat (Abb. 1).

Die jüngsten KlimaIm Unterschied zum Wetter, das sich auf tagesaktuelle oder sehr kurzfristige Ereignisse bezieht, meint Klima einen mittleren Zustand in der Atmosphäre über einen längeren Zeitraum von 30 bis 40 Jahren hinweg. Beobachtet werden dabei alle Vorgänge...veränderungen, insbesondere der Anstieg der globalen Durchschnittslufttemperaturen, tragen zum verstärkten Abschmelzen der polaren Eiskappen und der Gebirgsgletscher bei. Das Schmelzwasser wird hauptsächlich horizontal von der Oberfläche in die Ozeane transportiert, wo es zum barystatischen Meeresspiegelanstieg beiträgt. GRACE-Beobachtungen haben für die Westantarktis zwischen 2002 und 2016 einen Massenverlust von etwa 140 Gigatonnen pro Jahr ergeben, während der viel kleinere grönländische EisschildKontinentale Eismassen mit großer horizontaler Ausdehnung (mehrere tausend Kilometer) und Mächtigkeit (mehrere tausend Meter). Aktuell gibt es auf der Erde Eisschilde in Grönland und der Antarktis. Zum Zeitpunkt des letzten glazialen Maximums vor ... sogar 280 Gigatonnen pro Jahr beitrug. Die daraus resultierenden Trends in der polaren Bewegung erreichen mehrere Millibogensekunden pro Jahr (Abb. 2).

Es ist auch wahrscheinlich, dass das schnelle Abschmelzen der EisschildKontinentale Eismassen mit großer horizontaler Ausdehnung (mehrere tausend Kilometer) und Mächtigkeit (mehrere tausend Meter). Aktuell gibt es auf der Erde Eisschilde in Grönland und der Antarktis. Zum Zeitpunkt des letzten glazialen Maximums vor ...e in Grönland und der Antarktis für die beobachtete Richtungsänderung der Driftrichtung des Pols um das Jahr 2000 verantwortlich ist. GRACE/GRACE-FO-Beobachtungen des Massentransports innerhalb des Erdsystems zeigten einen nicht zu vernachlässigenden Einfluss der Ozeandynamik auf die Variationen der Polbewegung. Ozean-induzierte Anregungsfunktionen der polaren Bewegung können mehr als 10 Millibogensekunden erreichen. Die χ1-Komponente der Anregungsfunktion, die aufgrund der räumlichen Verteilung der Kontinente empfindlicher auf Massenänderungen in ozeanischen Gebieten reagiert, zeigt ebenfalls einen deutlich positiven Trend (Abb. 3).

Vom Verständnis geophysikalischer Prozesse zur EOP-Vorhersage

Das verbesserte Verständnis der verschiedenen Anregungsmechanismen von EOP-Änderungen, das durch GRACE/GRACE-FO ermöglicht wurde, hat auch zu zahlreichen Verbesserungen der numerischen Modelle geführt, die in der Folge auch Vorhersagemöglichkeiten eröffnen. In einer kürzlich abgeschlossenen internationalen Vergleichskampagne für EOP-Vorhersagen wurde deutlich, dass Methoden, die prognostizierte Anregungsfunktionen der Atmosphäre, der Ozeane und der Hydrosphäre nutzen, zu besonders genauen Vorhersagen auf Zeitskalen von einigen Tagen bis zu vielen Wochen führen. Künftige Forschungsarbeiten am nationalen Raumfahrtforschungszentrum in Warschau werden daher auf ein besseres Verständnis der beobachteten EOP-Variabilität, die konsistente Kombination von EOP-Schätzungen aus verschiedenen Quellen und verbesserte Methoden für EOP-Vorhersagen auf verschiedenen Zeitskalen ausgerichtet sein.

 

Weiterführende Informationen

 

Weiterführende Literatur

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  • Dill, R., & Dobslaw, H. (2019). Seasonal variations in global mean sea level and consequences on the excitation of length-of-day changes. Geophysical Journal International, 218(2), 801–816. https://doi.org/10.1093/gji/ggz201
  • Göttl, F., Groh, A., Schmidt, M., Schröder, L., & Seitz, F. (2021). The influence of Antarctic ice loss on polar motion: an assessment based on GRACE and multi-mission satellite altimetry. Earth, Planets and Space, 73(1). https://doi.org/10.1186/s40623-021-01403-6 
  • Nastula, J., Wińska, M., Śliwińska, J., & Salstein, D. (2019). Hydrological signals in polar motion excitation – Evidence after fifteen years of the GRACE mission. Journal of Geodynamics, 124, 119–132. https://doi.org/10.1016/j.jog.2019.01.014 
  • Śliwińska, J., Nastula, J., Dobslaw, H., & Dill, R. (2020). Evaluating gravimetric polar motion excitation estimates from the RL06 GRACE monthly-mean gravity field models. Remote Sensing, 12(6), 1–29. https://doi.org/10.3390/rs12060930