Satellitengestützte Messung des Erdschwerefelds
Das Schwerefeld der ErdeDas Schwerefeld der Erde setzt sich aus der Erdanziehung (Gravitation) und der durch die Erdrotation verursachten, breitenabhängigen Zentrifugalbeschleunigung zusammen. Die Materie in und auf der Erde ist nicht gleichmäßig verteilt. Wasser, locker... wird von der Massenverteilung sowohl im Erdinnern als auch an der Erdoberfläche bestimmt. Es muss über lange Zeiträume, also über mehrere Dekaden, ausgemessen werden. Nur so können wir klimarelevante Prozesse im Erdsystem, wie das Abschmelzen von Eismassen an den Polen, den Anstieg des Meeresspiegels oder Abnahmen von Grundwasser, weltweit beobachten.
Bereits in den 1970er Jahren haben Wissenschaftler:innen herausgefunden, dass man aus der präzisen Vermessung von relativen Unterschieden in den Umlaufbahnen von zwei baugleichen Satelliten Informationen zur Veränderung des Schwerefeldes gewinnen kann. Das Messprinzip funktioniert jedoch nur, wenn speziell für diese Aufgabe entwickelte Satellitenmissionen in einen möglichst polaren und möglichst niedrigen Orbit gebracht werden.
Die Umlaufbahnen der GRACE-Satelliten
Die Satellienmissionen GRACE und GRACE-FO bestehen aus jeweils zwei baugleichen Satelliten, die in einem Abstand von etwa 220 km auf der gleichen polaren Umlaufbahn von zu Beginn etwa 490 km Höhe um die Erde fliegen. Die Satelliten umrunden die Erde in ungefähr 95 Minuten und damit etwa 460 Mal in einem Monat. Die Wiederholzeiten der dazugehörigen Bodenspuren der Satelliten (die Projektion des Orbits auf die rotierende Erdoberfläche) sind dabei räumlich und zeitlich nicht konstant. Die polare Bahn bewirkt, dass die Bodenspuren der Orbits in der Nähe der Pole näher zusammen liegen als am Äquator. Diese Eigenschaft wird von der Empfangsstation des GFZ in Ny Ålesund auf Spitzbergen ausgenutzt, in deren Sichtbereich die Satelliten bei jedem Überflug auftauchen. Da die Satelliten nicht aktiv auf vorgeschriebenen Bahnen gehalten werden, sondern sich antriebslos unter dem Einfluss des Erdschwerefeldes bewegen, ist der räumliche Abstand von benachbarten Bodenspuren an einer bestimmten geografischen Breite zeitlich ebenfalls nicht konstant. Bei GRACE-FO liegen sie bisher über Deutschland zwischen 48 km (August 2021) und 146 km (Januar 2020). In seltenen Fällen überfliegen die Satelliten das Gebiet im zeitlichen Abstand von einigen Tagen (z.B. fünf Tage im März/April 2023) auf sich wiederholenden Bahnen, sodass die räumlichen Abstände dieser Bodenspuren dann nochmals größer sind.
Die Instrumente
Jeder Satellit ist mit einem GPS (Global Positioning System)-Empfänger zur Positionsbestimmung und zeitlichen Referenzierung der Messdaten ausgestattet. Zusätzlich befindet sich im Massenschwerpunkt jedes Raumfahrzeugs ein dreiachsiger Beschleunigungsmesser für die direkte Ausmessung der nicht-gravitativen Störkräfte, welche durch die Reibung in der Restatmosphäre (in Flughöhe der Satelliten) oder den Strahlungsdruck der Sonne verursacht werden. Sternenkameras und zusätzliche Trägheitssensoren dienen zur Bestimmung der Satellitenlage im Raum. Herzstück ist ein auf Mikrowellen (K/Ka-Band) basierendes Instrument, das kontinuierlich den Abstand beider Satelliten bis auf einige Tausendstel Millimeter genau misst. Auf GRACE-FO wurde zusätzlich als Technologie-Demonstrator für künftige Schwerefeldmissionen ein "Laser Ranging Interferometer" (LRI) installiert, welches das Messrauschen der Abstandsmessung um mindestens den Faktor 100 gegenüber GRACE verkleinert. Als weitere Informationsquelle für die Bahnbestimmung trägt jeder Satellit noch einen Retroreflektor für laserbasierte Entfernungsmessungen von der Erde, welcher am GFZ entwickelt und hergestellt worden ist. Dieser Retroreflektor wird unter anderem auch von der SLR-Station des GFZ in Potsdam regelmäßig angepeilt.
Das Messprinzip
Die hochgenaue Vermessung des Abstands bzw. seiner räumlich-zeitlichen Veränderung zwischen den Satelliten ist essentiell für die Bestimmung der hochgenauen Erdschwerefelder, weil Massenvariationen vor allem Änderungen der Bahngeschwindigkeit der Satelliten bewirken. Die Genauigkeit der Mikrowellenmessung beträgt nur wenige Tausendstel Millimeter. Dies entspricht etwa dem Zehntel des Durchmessers eines menschlichen Haares. Das hochfrequente Messrauschen des LRI ist mit 2 Nanometern noch einmal deutlich kleiner und auch deutlich geringer als in der ursprünglichen Spezifikation (60 nm) vor dem Start gefordert. Es liegt damit lediglich in der Größenordnung der Dicke eines DNA-Strangs.
Da nun beide Satelliten entlang desselben Orbits etwas zeitversetzt (ca. 30 Sekunden) identischen Schwerefeldanomalien ausgesetzt sind, ändert sich deren relative Geschwindigkeit (Δ v) kontinuierlich. Dies führt zu kleinen Entfernungsänderungen zwischen beiden Satelliten, die mit dem Mikrowelleninstrument oder dem LRI kontinuierlich gemessen werden. Damit enthalten die Abstandsmessungen Informationen über geringste Unterschiede im Schwerepotenzial U bzw. damit einhergehender Massenanomalien auf (z.B. Eismassen) und – als besonderes Alleinstellungsmerkmal der gravimetrischen Verfahren – auch unterhalb der Erdoberfläche (z.B. Grundwasser). Üblicherweise werden diese Sensordaten über 30 Tage gesammelt und daraus ein mittleres SchwerefeldmodellEin Schwerefeldmodell beschreibt in mathematisch kompakter Form die räumliche Verteilung der Erdanziehung (Gravitation) für eine bestimmte Zeitepoche. Die Darstellung des Gravitationspotentials für einen Punkt im Außenraum der Erde (außerhalb de... für den Zeitraum eines Monats aus ca. 460 Erdumkreisungen abgeleitet. In einem weiteren Schritt kann dieses SchwerefeldmodellEin Schwerefeldmodell beschreibt in mathematisch kompakter Form die räumliche Verteilung der Erdanziehung (Gravitation) für eine bestimmte Zeitepoche. Die Darstellung des Gravitationspotentials für einen Punkt im Außenraum der Erde (außerhalb de... als Karte der monatlichen Massenanomalien, also der Massenunterschiede relativ zu einem langjährigen Mittel, dargestellt werden.
Die Abbildung veranschaulicht das Messprinzip exemplarisch. Über der ruhigen Ozeanoberfläche ist die Geschwindigkeitsdifferenz der beiden Satelliten vA–vB Null, da es hier in unserem Beispiel keine relevanten Massendifferenzen gibt. Die Länge der (roten) Geschwindigkeitsvektoren ist daher identisch (Teilbild 1). Fliegt der erste Satellit A auf die Landfläche zu (Teilbild 2), bewirkt die Massenanomalie (hier in Form eines Berges) eine Beschleunigung des Satelliten A. Der in 220 km nachfolgende Satellit B wird von dieser zusätzlichen Masse aber (noch) nicht beeinflusst und bleibt auf seiner Bahn scheinbar unbeschleunigt. Als Folge vergrößert sich die Geschwindigkeitsdifferenz, d.h., die Differenz der Geschwindigkeitsvektoren vA–vB ändert sich von Null auf einen positiven Wert. Im Teilbild 3 entfernt sich Satellit A wieder von der Massenanomalie, wird also wieder langsamer. Satellit B hingegen wird stärker angezogen und vergrößert seine Geschwindigkeit, ähnlich wie Satellit A in Teilbild 2. Als Folge wird die Geschwindigkeitsdifferenz vA–vB nun negativ. Im Teilbild 4 wird der ursprüngliche Zustand wie im Teilbild 1 wieder eingenommen, nachdem der nachfolgende Satellit durch die überflogene Massenanomalie ebenfalls wieder auf die ursprüngliche Geschwindigkeit gebremst wurde und somit die Geschwindigkeitsdifferenz zwischen beiden Satelliten über einer störungsfreien Ozeanregion wieder Null ist.
Durch die Kombination aller oben genannten Sensoren auf einer speziell entwickelten Satellitenplattform war es mit den GRACE- und GRACE-FO-Missionen erstmals möglich, monatliche, saisonale und auch längerfristige Massenveränderungen im Erdsystem zu beobachten. Die räumlichen Variationen werden üblicherweise in Form von Kugelfunktionskoeffizienten (Stokes-Koeffizienten) als Funktion der Zeit und des Ortes als Reihenentwicklung dargestellt. GRACE-Modelle werden typischerweise bis zum Grad 96 entwickelt (entspricht einer räumlichen Auflösung von etwa 200 km), wozu (n+1)2 = 9401 Koeffizienten benötigt werden. Allerdings sind aufgrund verschiedener Limitationen des Messprinzips (polare Umlaufbahn und einhergehende Anisotropie der Abstandsbeobachtungen, ungenaue Messungen von nicht-gravitativen Beschleunigungen, Restfehler in den Modellen zur Korrektur sub-monatlicher Massenvariationen im Ozean, etc.) die Koeffizienten hoher Grade und Ordnungen nur ungenau bestimmbar. Durch die anschließend notwendige räumliche Filterung zur Unterdrückung dieser Restfehler geht daher ein Teil der räumlichen Auflösung verloren, sodass die Auflösungsgrenze effektiv bei etwa 300 km liegt.
Daher können Kartenabbildungen, solange sie alleine auf Daten der Satellitenmissionen basieren, keine lokalen Details enthalten. Die Daten der SatellitengravimetrieVerfahren zur Vermessung des Erdschwerefeldes mittels Satelliten. In den vergangenen 20 Jahren wurden verschiedene moderne Varianten realisiert: (1) Laufzeitmessungen zwischen hochfliegenden GPS-Satelliten und einem tieffliegenden Satelliten (high-lo... müssen hingegen grundsätzlich als räumliche Mittelwerte verstanden werden. Damit ist gemeint, dass sich Wassermassenvariationen auf Skalen kleiner als etwa 300 km in den Daten herausmitteln. Das bedeutet auch, dass räumlich klar abgegrenzte Massensignale (wie beispielsweise Seespiegelvariationen) in den GRACE-Daten häufig unscharf abgebildet werden. Dieser auch als „räumliches Leakage“ bezeichnete Fehlereinfluss muss daher bei der Interpretation der Ergebnisse berücksichtigt werden. Gleichzeitig muss bedacht werden, dass Satellitenschwerefelddaten keinerlei Information über die vertikale Position von Massenanomalien liefern können. Für die sogenannte „geophysikalische Signalseparation“ sind daher zusätzliche Informationen aus numerischen Modellen zu bereits gut verstandenen Prozessen wie atmosphärischen Massenumverteilungen oder glazialisostatischen Ausgleichsprozessen im oberen Mantel erforderlich. Die rigorose Identifikation, Quantifizierung und stochastische Modellierung der verschiedenen Fehlereinflüsse entlang der gesamten Prozessierungskette ausgehend von den Sensordaten (Level-1B) bis hin zu den finalen geophysikalischen Massenanomalien (Level-3) ist Gegenstand aktueller Forschungsarbeiten.
Text: Prof. Dr. Frank Flechtner, GFZ
Weiterführende Informationen
Artikel in System Erde. GFZ-Jounal (2/2017): Beobachtung von Massentransporten im System Erde mit GRACE und GRACE-FO
Animation: Messprinzip der GRACE-Satelliten
Weiterführende Literatur
- Abich, K., Abramovici, A., Amparan, B., Baatzsch, A., Okihiro, B. B., Barr, D. C., Bize, M. P., Bogan, C., Braxmaier, C., Burke, M. J., Clark, K. C., Dahl, C., Dahl, K., Danzmann, K., Davis, M. A., de Vine, G., Dickson, J. A., Dubovitsky, S., Eckardt, A., Ester, T., Barranco, G. F., Flatscher, R., Flechtner, F., Folkner, W. M., Francis, S., Gilbert, M. S., Gilles, F., Gohlke, M., Grossard, N., Guenther, B., Hager, P., Hauden, J., Heine, F., Heinzel, G., Herding, M., Hinz, M., Howell, J., Katsumura, M., Kaufer, M., Klipstein, W., Koch, A., Kruger, M., Larsen, K., Lebeda, A., Lebeda, A., Leikert, T., Liebe, C. C., Liu, J., Lobmeyer, L., Mahrdt, C., Mangoldt, T., McKenzie, K., Misfeldt, M., Morton, P. R., Müller, V., Murray, A. T., Nguyen, D. J., Nicklaus, K., Pierce, R., Ravich, J. A., Reavis, G., Reiche, J., Sanjuan, J., Schütze, D., Seiter, C., Shaddock, D., Sheard, B., Sileo, M., Spero, R., Spiers, G., Stede, G., Stephens, M., Sutton, A., Trinh, J., Voss, K., Wang, D., Wang, R. T., Ware, B., Wegener, H., Windisch, S., Woodruff, C., Zender, B., Zimmermann, M. (2019): In-Orbit Performance of the GRACE Follow-on Laser Ranging Interferometer. - Physical Review Letters, 123, 031101.
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