Auswertung der GRACE/GRACE-FO Sensordaten
Veränderungen im System Erde werden mit den Satellitenmissionen GRACE und GRACE-FO aus der präzisen Vermessung von relativen Unterschieden in den Bahnen der beiden Satelliten gewonnen, die mit etwa 220 km Abstand in einem niedrigen Orbit von anfänglich 500 km Höhe um die Erde kreisen. Ein Umlauf dauert nur etwa 95 min und führt jeweils über beide Pole der Erde, so dass durch die sich unter der raumfesten Bahnebene hinwegrotierende Erde nach und nach alle Orte auf der Welt einmal überflogen werden können. Damit unterscheiden sich GRACE und GRACE-FO fundamental von anderen Erdbeobachtungsmissionen durch die Tatsache, dass keines ihrer Messinstrumente in Richtung der Erdoberfläche ausgerichtet ist.
Fünf verschiedene Sensoren für die Schwerefeldbestimmung
Ein Kernelement der Schwerefeldmissionen ist die präzise Messung von relativen Distanzen, Geschwindigkeiten und Beschleunigungen zwischen den Zwillingssatelliten. Bei GRACE wurde diese Information über ein Mikrowellensystem gewonnen. Auf GRACE-FO wird seit 2018 zusätzlich ein Laserinterferometer, die genauste aktuell verfügbare Messtechnik für Abstandsmessungen, genutzt. Damit erhöht sich die Präzision der Distanzmessung um fast zwei Größenordnungen. Da beide Satelliten antriebslos unterwegs sind, können sie als schwerelose Testmassen im All angesehen werden, deren Positionsveränderungen einzig durch die auf sie wirkenden externen Kräfte verursacht werden. Aus sehr genau vermessenen Bahnen lässt sich dann das räumlich variable Schwerefeld im erdnahen Raum rückschließen. Ergänzt werden die Abstandsmessungen durch (weniger präzise) Positionsbestimmungen mit GPS-Empfängern, welche an der Oberseite der Satelliten montiert sind und Navigationssignale von höher fliegenden GPS-Satelliten verarbeiten. Für die Bahnbestimmung werden ergänzend auch Entfernungsmessungen vom Boden zu an den Satelliten montierten Retroreflektoren durchgeführt.
Allerdings wirken nicht nur gravitative Kräfte auf die Satelliten: großen Einfluss haben auch der Strahlungsdruck der Sonne sowie die (in Flughöhe der Satelliten recht geringe) Restreibung der Erdatmosphäre (genauer gesagt der Thermosphäre, welche sich zwischen 80 und 1000 km Höhe erstreckt). Diese nichtgravitativen Kräfte müssen vor der Schwerefeldberechnung reduziert werden. Sie werden bei GRACE/GRACE-FO über sehr sensitive Beschleunigungsmesser beobachtet, welche jeweils im Massenzentrum der Satelliten montiert sind. Gleichzeitig erfordert das Auswertekonzept auch Informationen über die absolute Lage der Raumfahrzeuge im Weltraum, um die Daten der Beschleunigungsmesser in ein raumfestes Referenzsystem transformieren zu können. Dafür sind pro Satellit zwei (GRACE) bzw. drei (GRACE-FO) Sternenkameras installiert, die über hochauflösende Bilder des kosmischen Hintergrundes und einen detaillierten astrometrischen Sternenkatalog die Berechnung der Lagewinkel jedes Satelliten erlauben. Diese dritte Sternkamera ist neben dem Laserinterferometer der wesentliche Unterschied zwischen GRACE und GRACE-FO.
Von Schwerefeldern zu Massenanomalien
Für die Berechnung von globalen Karten des Erdschwerefeldes sind gleichzeitige Beobachtungsdaten aller fünf Sensorsysteme mit den vor dem Start der Mission festgelegten Genauigkeiten erforderlich. Die Daten werden üblicherweise über einen Zeitraum von 30 Tagen gesammelt um ein mittleres Schwerefeld für diesen Zeitraum zu berechnen. Jedes einzelne SchwerefeldmodellEin Schwerefeldmodell beschreibt in mathematisch kompakter Form die räumliche Verteilung der Erdanziehung (Gravitation) für eine bestimmte Zeitepoche. Die Darstellung des Gravitationspotentials für einen Punkt im Außenraum der Erde (außerhalb de... ähnelt sehr stark der sogenannten „Potsdamer Kartoffel“, die das statische Erdschwerefeld beschreibt und im Wesentlichen Rückschlüsse auf die Massenverteilung im Erdmantel zulässt. Zeitliche Veränderungen von Monat zu Monat (oder von Jahr zu Jahr) sind um etwa zwei Größenordnungen kleiner als die räumlichen Variationen des statischen Feldes und können dennoch Dank der hohen Präzision des Sensorsystems von GRACE/GRACE-FO verlässlich dokumentiert werden.
Das GFZ prozessiert als Teil des wissenschaftlichen Auswertesegments der Missionen GRACE und GRACE-FO routinemäßig Schwerefelder (sogenannte Level-2-Produkte) und stellt diese in Form von Potentialkoeffizienten zur Verfügung (Dahle et al., 2019), deren Informationsgehalt für Nichtexpert:innen kaum zugänglich ist. Deshalb werden zusätzlich auch gegitterte Massenverteilungen berechnet, die bereits zwischen den Signalen verschiedener geophysikalischer Prozesse unterschieden und so besser auf die individuellen Erfordernisse verschiedener Disziplinen der Geowissenschaften zugeschnitten sind. Diese sogenannten Level-3-Produkte werden über das Gravis-Portal zugänglich gemacht. Erst die Auswertung einer langen Zeitreihe von Level-2 oder Level-3-Produkten ermöglicht das Studium von Veränderungen im Erdsystem, wie der Analyse von Eismassenverlusten, die Quantifizierung des Meeresspiegelanstiegs, oder die Charakterisierung von hydrometeorologischen Extremereignissen. Für diese Analysen stehen zahlreiche verschiedene statistische Auswerteverfahren zur Verfügung, die speziell auf unterschiedliche Anwendungsfragen hin entwickelt wurden, um eine bestmögliche wissenschaftliche Nutzung der GRACE/GRACE-FO-Monitoringdaten zu ermöglichen.
Text: Dr. Henryk Dobslaw, GFZ
Weiterführende Informationen
- Paper zur Level-2-Schwerefeldprozessierung am GFZ: Dahle et al., 2019
- Link zum GravIS-Portal
- Artikel auf geodaesie.info: Globale Massenverteilung aus Satellitengravimetrie: Das interaktive Datenportal GravIS
- GFZ-Sektion Globales Geomonitoring und Schwerefeld