12.11.2024

Sondierung der Atmosphäre mit GNSS-Radiookkultationen

© GFZ

Die vielfältige Sensorik der GRACE-FO-Satelliten ermöglicht nicht nur die Vermessung des zeitvariablen Erdschwerefeldes und der dafür ursächlichen Wassermassenverlagerungen, sondern auch eine ganze Reihe von weiteren geowissenschaftlichen Untersuchungen. Eine besonders wichtige Sekundärnutzlast ist ein zusätzlicher Empfänger für die Signale von Satellitennavigationssystemen (GNSS), der mittels GNSS-Radiookkultationstechnik (GNSS-RO) eine präzise Vertikalsondierung (Limb-Sondierung) der Erdatmosphäre im globalen Maßstab ermöglicht. 

Dr. Torsten Schmidt, GFZ Potsdam

 

Solche GNSS-Empfänger gibt es an Bord verschiedener niedrigfliegender Satelliten (Low Earth Orbiting [LEO] satellites, Orbithöhe kleiner als 1000 km), und sie registrieren bis zu 100 mal pro Sekunde die Phasen und Amplituden der Signale des amerikanische GPS- oder des europäischen GALILEO-Systems, deren Satelliten auf deutlich höheren Bahnen (ca. 20 000 km über der Erdoberfläche) unterwegs sind. 

Aus den durch die Atmosphäre beeinflussten Messsignalen während der etwa einminütigen Satellitenauf- oder -untergänge (Okkultationen) und den präzisen Orbitpositionen der beteiligten Satelliten können bis in eine Höhe von 40 km über Grund Vertikalprofile der Refraktivität, der Temperatur und auch des Wasserdampfes (in der unteren Troposphäre) abgeleitet werden. Darüber hinaus können ab etwa 80 km bis zur Bahnhöhe des niedrigfliegenden Empfängersatelliten Vertikalprofile der Elektronendichte berechnet werden.

Die wesentlichen Eigenschaften der RO-Technik sind (1) globale Verfügbarkeit der Messungen, (2) Wetterunabhängigkeit der Beobachtungen aufgrund der GNSS-Signale im L-Band, (3) hohe vertikale (etwa 1 km in der unteren Stratosphäre, 100 m in der Troposphäre) bei allerdings geringer horizontaler Auflösung (200-300 km) und (4) Langzeitstabilität der Messungen.

Auf Grund der Messmethode und den daraus resultierenden Eigenschaften, insbesondere der Langzeitstabilität der Messungen, werden RO-Daten für das Temperaturmonitoring in der oberen Troposphäre und unteren Stratosphäre (etwa 5-40 km) verwendet. Daraus lassen sich Temperaturtrends in dieser Region der Atmosphäre sehr präzise bestimmen. RO-Daten sind also ein wichtiger Datensatz in der Klimaforschung, wie auch im aktuellen IPCC-Report (AR6, 2021) dokumentiert. Abbildung 1 ist ein Update des Temperaturtrends in der oberen Troposphäre und unteren Stratosphäre, mit einem deutlich sichtbaren Temperaturanstieg in der Troposphäre und einer Abkühlung in der unteren Stratosphäre im Zeitraum 2002-2023.

RO-Daten werden seit 2006 auch von den Wetterdiensten genutzt und haben somit auch eine wichtige Bedeutung für die tägliche Wettervorhersage. Damit die RO-Daten für die Wettervorhersage verwendet werden können, darf die Zeitspanne zwischen Messung am Satelliten und Eintreffen bei den Wetterdiensten allerdings nicht (viel) größer als drei Stunden betragen.

Um das zu gewährleisten, ist eine komplexe Infrastruktur erforderlich. Diese beinhaltet eine polare Empfangsstation für die RO-Daten. Da sich die LEO-Satelliten auf polaren Umlaufbahnen bewegen, sind mit einer polaren Empfangsstation alle 90 Minuten Kontakte zum Satelliten möglich. Durch schnellen Datentransfer und Datenprozessierung kann damit das Zeitkriterium erfüllt werden. Das GFZ Potsdam betreibt zu diesem Zweck seit über 20 Jahren eine Empfangsstation in Ny-Aalesund auf Spitzbergen. Abbildung 2 zeigt Infrastruktur und Datenflow für die Prozessierung von RO-Daten im GFZ Potsdam.

 

 

Das GFZ ist momentan für die Prozessierung der RO-Daten für die Missionen TerraSAR-X (seit 2008), Tandem-X (seit 2011) und für die beiden GRACE-FO-Satelliten (seit 2020) verantwortlich und trägt somit seit 2001 (RO-Daten von CHAMP) kontinuierlich zur globalen RO-Datenbasis bei (https://www-app2.gfz-potsdam.de/ro/index_ro_experiment.html). In der Vergangeheit wurden auch die Daten von GRACE und Champ hauptverantwortlich in Potsdam ausgewertet. Weitere aktuell wichtige RO-Missionen sind: COSMIC-2 (USA/Taiwan, 6 Satelliten), Metop-B/C (EU) und Spire (USA, privat, eine Vielzahl an Kleinsatelliten). Ein Zugriff auf aktuelle RO-Daten nahezu aller Missionen ist über UCAR möglich (https://data.cosmic.ucar.edu/gnss-ro). Derzeit werden insgesamt mehrere tausend RO-Profile täglich generiert.

 

Weiterführende Literatur

  • Anthes R. A. (2011): Exploring Earth's atmosphere with radio occultation: contributions to weather, climate, and space weather. Atmos. Meas. Tech., 4, 1077–1103, doi:10.5194/amt-4-1077-2011.

  • Schmidt T., Wickert J., Michalak G. (2010): The operational processing system for GPS radio occultation data from CHAMP and GRACE. - In: Flechtner, F.; Gruber, T.; Günt-ner, A.; Mandea, M.; Rothacher, M.; Schöne, T.; Wickert, J. (Eds.), System Earth via Geodetic-Geophysical Space Techniques, Springer, 455-460. 

  • Wickert J., Dick G., Schmidt T., et al. (2020): GNSS Remote Sensing at GFZ: Overview and Recent Results. Zeitschrift für Vermessungswesen (zfv), 5, 266-278, doi:10.12902/zfv-0320-2020.