18.07.2024

Wo Steine im Winter schneller fallen – Forschung zur hochalpinen Hydrologie auf der Zugspitze

© Christian Voigt, GFZ Potsdam

Das internationale Projekt G-MONARCH (Gravity-Monitoring for Alpine Research Catchment Hydrology) hat zum Ziel, die hochalpine Hydrologie besser zu verstehen. Als Modellregion dient uns dabei die fast 3000 Meter hohe Zugspitze (Abb. 1). Man kann sich das Gebiet um Deutschlands höchsten Berg wie einen Trichter vorstellen („natürliches Lysimeter“). Wir vom GeoForschungsZentrum (GFZ) Potsdam wollen gemeinsam mit unseren Projektpartnern aus Wien und Augsburg herausfinden, wie sich die Wassermenge im Trichter ändert, wie viel Wasser in den Trichter hineinkommt (u.a. durch Regen, Schnee- und Gletscherschmelze), wie viel Wasser aus dem Trichter herausfließt (beim sog. Partnachursprung) und wie lange das Wasser dabei unterwegs ist. Die Besonderheit in diesem Projekt ist, dass neben klassischen hydrologischen Verfahren auch gravimetrische Verfahren eingesetzt werden.

Korbinian Achmüller, GFZ Potsdam | Technische Universität Berlin

 

Gravimetrie einfach erklärt

Ein Gedankenexperiment: Sie gehen morgens auf den Münchner Marienplatz (Abb. 2). Es ist wenig los. Sie lassen einen Stein vom Balkon des Rathauses fallen – was passiert? Der Stein fällt herunter, da er von der großen Masse der Erde angezogen wird. Sie machen dasselbe mittags: Inzwischen sind alle Plätze besetzt. Die Leute stehen sich schon „auf den Füßen“. Sie lassen wieder einen Stein fallen (natürlich achten Sie darauf, dass Sie keinen Passanten treffen) – was passiert? Der Stein fällt schneller, denn die große Menschenmenge zieht ihn zusätzlich an. Dasselbe passiert auf dem Gipfel der Zugspitze: Im Winter, wenn bis zu 5 Meter Schnee liegen, fällt der Stein schneller als im Sommer. Wenn man eine sehr genaue Stoppuhr hat, kann man aus den unterschiedlichen Fallzeiten bestimmen, wie sich die sog. Schwerebeschleunigung von 9,8… m/s2 geändert hat. Das ist die Beschleunigung, die bei einem freien Fall wirkt. Wir messen diese mit einem Gravimeter. Die Änderung der Schwerebeschleunigung verrät uns, wie viel Masse hinzu- und weggekommen ist.

Was macht das Supraleitgravimeter auf dem Gipfel der Zugspitze?

Auf dem Gipfel der Zugspitze steht ein sogenanntes „Supraleitgravimeter“ (Abb. 3). Damit messen wir jede Sekunde mit höchster Genauigkeit und Stabilität, wie sich die Massen im Zugspitzgebiet umverteilen. Angenommen, wir stellen unser Supraleitgravimeter auf den Balkon des Münchner Rathauses. Wir messen am Morgen. Der Marienplatz ist noch leer. Später kommen immer mehr Menschen. Nehmen wir an, es sind jetzt schon 375 Menschen (mit durchschnittlich 75 kg) auf dem Marienplatz. Wir messen wieder. Die Genauigkeit des Supraleitgravimeters ist so gut, dass wir den Massenunterschied, verursacht durch diese 375 Menschen, erkennen können (das entspricht einer Präzision von 1 nm/s2; 1 Nanometer (nm) sind 0,000000001 Meter). Wenn im Winter im Zugspitzgebiet bis zu 5 Meter Schnee liegen, ist der Effekt dieser zusätzlichen Masse auf das Gravimeter so groß, als wenn 190.000 Menschen auf dem Münchner Marienplatz stehen würden (das entspricht einem Unterschied von ca. 500 nm/s2) – diese müssten aber sehr dicht stehen, damit alle Platz haben.

Wie ergänzen sich gravimetrische und klassische hydrologische Methoden?

Wenn im Umkreis von bis zu 4 km um das Gravimeter Massen hinzukommen, wegkommen oder sich umverteilen, so messen wir dies als Änderung der Schwerebeschleunigung (= Beschleunigung, die beim freien Fall wirkt, s.o.) – vorausgesetzt, wir haben u.a. Korrekturen für Massenvariationen durch Gezeiten und in der Atmosphäre angebracht. Wir wissen aber zunächst nicht, was diese Massenänderung verursacht – es könnte Schnee sein, Regen, Gletscher, Grundwasser, Permafrost oder Erosion. HydrologInnen, GlaziologInnen, GeologInnen und GeophysikerInnen messen dagegen mit klassischen hydrologischen Verfahren an bestimmten Punkten im Gebiet einzelne Komponenten des alpinen Systems, jedoch nicht ihre Gesamtheit. Diese erhalten wir nur über gravimetrische Messungen. Im Zusammenspiel von gravimetrischen und hydrologischen Methoden gewinnen wir damit wertvolle Informationen über den Wasserspeicher (auf ganz unterschiedlichen Zeitskalen – von einzelnen Niederschlagsereignissen bis zur langfristigen, klimawandelbedingten Gletscherschmelze) und tragen dazu bei, den „Trichter“ Zugspitze besser zu verstehen.

Wie läuft eine gravimetrische Messkampagne auf der Zugspitze ab? Was braucht man dafür?

Seit 2023 sind wir viermal im Jahr für Feldmessungen auf der Zugspitze. Die wichtigsten Instrumente sind dabei unsere Gravimeter. Zusätzlich zu dem bereits erwähnten Supraleitgravimeter auf dem Gipfel der Zugspitze steht ein weiteres Gravimeter dauerhaft im Tunnel der Zugspitz-Zahnradbahn (Abb. 4). Für Feldmessungen verwenden wir kleine transportable Gravimeter. Mit dem Gravimeter im Rucksack gehen wir an mehreren Tagen alle Feldpunkte im Bereich der Zugspitze ab. Die Position und Höhe dieser Punkte sind genau eingemessen (Abb. 5). Dabei messen wir an jedem Punkt mehrmals (z.B. einmal am Vormittag und einmal am Nachmittag), um Messunsicherheiten zu verringern. Da kommen schnell einige Kilometer und Höhenmeter an Wegstrecke zusammen. Im Winter können wir Skilifte benutzen, aber dafür müssen Feldpunkte zum Teil erst von Schnee befreit werden, was bei Schneehöhen von mehreren Metern eine mühsame Schaufelarbeit ist. Nach dieser anstrengenden Feldarbeit heißt es „Stirnlampen an“, es geht in den Tunnel der Zahnradbahn, denn hier können wir nur außerhalb der Betriebszeiten messen. Nach einer Woche Messkampagne bei hoffentlich schönem Wetter, geht es zurück ins Büro zur Auswertung der Messungen – um zu sehen, wie sich die Masse auf Deutschlands höchstem Berg seit der letzten Messkampagne verändert hat.

 

Weiterführende Informationen

  • Voigt, C. (2023) Forschung in luftiger Höhe: Der Wasserhaushalt in den Alpen. Beilage der Geographischen Rundschau 3-2023 in Kooperation mit dem Deutschen GeoForschungsZentrum GFZ

  • Messzeitreihe des Supraleitgravimeters (Abb. 6)